Krankheitsverlauf

In diesem Forum können medizinische Fragen gestellt werden, welche durch den Sjoegrenspezialisten Herr Prof. Dr. Stephan Gadola beantwortet werden. ACHTUNG: Bitte nehmt hier keinen Bezug zu allfälligen Praxisbesuchen bei Herrn Dr. Gadola.
Stephan Gadola
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Beitrag von Stephan Gadola »

Sehr geehrter Herr Hofmann

Ihren letzten Satz verstehe ich nicht. Zu den anderen Dingen: Ein Herpes-Antikoerper hilft nicht weiter bei der Diagnose. Den Mechanismus der Mimickry, welchen ich in meiner letzten mail beschrieben habe ist insbesondere fuer Bakterien beschrieben (z.Bsp. Campylobacter), und die entsprechenden Infektionen finden nicht im Magen sondern im Darm statt (was, wie beschrieben, zu einem Guillain-Barree Syndrom fuehren kann).
Andererseits ist eine virale Genese des Leidens ihres Bruder's nicht ausgeschlossen (wurden Virus-Kulturen der Rueckenmarksfluessigkeit durchgefuehrt ?).

Ich komme gerade vom Britischen Rheumatologen Kongress zurueck und dort die Gelegenheit, den Fall Ihres Bruders mit einem der erfahrensten Rheumatologen England's zu besprechen. Entsprechend meinen eigenen Erfahrungen hat auch er noch nie ein Sjogren Syndrom gesehen, welches sich so manifestiert, und auch noch nie ein Sjogren Syndrom, bei welchem die SSA/SSB Antikoerper negativ werden...

Es fehlen immer noch zwei ganz wesentliche Informationen:
1. Das hochaufloesende MRT des Hirnstamms
2. Die Resultate der Rueckenmarksfluessigkeit (= Liquoranalyse)

Ich hoffe, dass es Ihrem Bruder bald wieder etwas besser geht.

Freundliche Gruesse
Prof.Dr.med. Stephan Gadola
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leber08
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Beitrag von leber08 »

Hallo Herr Professor Gadola,
vielen Dank für Ihre prompte Antwort und die Information, die sie von Ihrem Kollegen erfahren haben.
Die Untersuchung des Darms bei meinem Bruder haben die Ärzte noch nicht durchgeführt und wollen dies wahrscheinlich in den nächsten Wochen nachholen. Auch dort gebe es die Möglichkeit noch eine Ursache zu finden. Die Liquoruntersuchungen wurden in den vergangenen Monaten bereits dreimal durchgeführt und wollte von den Ärzten in der vergangenen Woche nicht noch einmal durchgeführt werden. Laut Aussage der Ärzte war die letzte Untersuchung ohne Befund, aber dies kläre ich nochmals.
Weiterhin werde ich Sie über die Untersuchungen in der Charite in Berlin auf dem laufenden halten.
Desweiteren stellt sich mir die Frage, ob es sein kann, dass eine so multiple Autoimmunerkrankung so wenig auf medikamente anspricht und so lange dauert.
Viele Grüße aus Deutschland
A.Hofmann
Stephan Gadola
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Beitrag von Stephan Gadola »

Sehr geehrter Herr Hofmann

Die Liquoruntersuchungen wurden also gemacht. Fragen Sie trotzdem nach ob auf Viren kultiviert wurde und wie das Resultat der oligoclonalen Banden im Liquor war (um sicher zu gehen, dass diese Tests mitgemacht wurden).

Es ist sicher berechtigt bei einem ungewoehnlichen Krankheitsbild mit ungewoehnlichem Verlauf die Diagnose immer wieder in Frage zu stellen, insbesondere wenn die Therapie nicht hilft. Die Liquoranalysen sollten auch Aufschluss ueber die Bluthirnschranke geben, welche normalerweise den Zugang von Stoffen, inkl. einiger Medikamente, ins zentrale Nervensystem verhindert. Bei einigen Erkrankungen des ZNS werden daher die Medikamente "intrathekal" verabreicht um eine groessere Wirkung im ZNS zu erzielen. Aber wie gesagt, die Diagnose bei Ihrem Bruder ist nach wie vor unklar.

Freundliche Gruesse
Prof.Dr.med. Stephan Gadola
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leber08
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Beitrag von leber08 »

Hallo Herr Gadola,

leider geht es meinem Bruder weiter schlechter. Mittlerweile kann er den Ringfinger und den kleinen Finger der linken Hand auch nicht mehr bewegen. Zur Zeit befindet er sich in Berlin und wartet auf seinen Termin am Mittwoch in der Charitee.
Aus der Verzweiflung heraus bin ich auf einen Artikel gestoßen, der besagt, dass auch es auch bei einer schweren Diphterie zu Lähmungen der Rachen- und Rumpfmuskulatur kommen kann. Mir fiel ein, dass es durchaus im Rahmen des Möglichen wäre, dass seine Impfungen nicht komplett sein könnten. Vieleicht ist es abwägig, aber wäre es eine Möglichkeit? Als Laie ist das schwer zu sagen und wir möchten einfach nichts übersehen.

Beste Grüße
Stephan Gadola
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Beitrag von Stephan Gadola »

Guten Tag Herr Leber

Entschuldigen Sie die verspaetete Antwort; Ich habe nicht realisiert, dass Sie schon zurueckgeschrieben haben.

50mg Prednison pro Tag sind immer noch eine kraeftige Dosis. Gut, dass das hochaufloesende MRI bald gemacht wird ! Das MRI sollte unbedingt (aber ich nehme an, dass das sowieso klar ist) nicht nur das Hirn mit Hirnstamm, sondern auch das obere Hals-Rueckenmark miteinbeziehen.
Falls keinerlei Pathologie im MRI sichtbar waere, dann kaeme eine Toxin-Wirkung durchaus in Frage, was auch mit dem schlechten Ansprechen auf Immunsuppression vereinbar waere. Ich verstehen Ihre Verzweiflung und druecke Ihnen die Daumen. Es ist natuerlich praktisch ein Ding der Unmoeglichkeit fuer Sie als Laie eine rationelle Differentialdiagnose zu erstellen, und Sie sollten sich nicht zu sehr damit unter Druck setzen. Andererseits hat Ihr Bruder offensichtlich eine solch seltene Erkrankung (oder seltene Manifestation einer Erkrankung), dass jegliches "Querdenken" erlaubt und moeglicherweise auch hilfreich ist.

Lassen Sie mich die Resultate des MRI's wissen.

Freundliche Gruesse
Prof.Dr.med. Stephan Gadola
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leber08
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Beitrag von leber08 »

Hallo Herr Professor Gadola,
mittlerweile haben wir von der Charite in Berlin den Befund des MRT für Hirnstamm und Wirbelsäule. Die Befunde wiesen keinerlei Anzeichen einer Tumorösen oder entzündlichen Entwicklung auf. Mein Bruder liegt mittlerweile auf der Intensivstadion und hat vor sieben Tagen einen Luftröhrenschnitt bekommmen. Die künstliche Beatmung ist aber nur in teilweise von nöten. Die Ärzte der Charite haben nun endgültig sowohl ALS als auch das Sjögren Syndrom ausgeschloßen. Die Diagnose lautet auf eine seltene Autoimmunerkrankung mit Befall der peripheren Nerven, wobei die Nerven laut Aussage der Ärzte nur blockiert und nicht zerstört sind. Aktuell bekommt mein Bruder nun eine Plasmapheresebehandlung, in die die Ärzte viel Hoffnung stecken. Nach zwei Behandlungen sind aktuell noch keine wesentlichen Verbesserungen zu sehen. Die Lähmungserscheinungen haben sich aber auch nicht weiter entwickelt, so dass wir eine Verbesserung in den nächsten Wochen erhoffen. Der Luftröhrenschnitt war notwendig geworden, da durch seine eingeschränkt, flache Atmung der CO2 Wert des Blutes extrem hoch war und er sich selbst narkotisierte. Ich hoffe Ihnen bald gute Nachrichten senden zu können und verbleibe einstweilen.

Mit freundlichen Grüßen
A.Hofmann
Stephan Gadola
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Beitrag von Stephan Gadola »

Guten Morgen Herr Hofmann,
Ich druecke Ihrem Bruder beide Daumen. Die Plasmapheresebehandlung zielt darauf ab gewisse Eiweisse, insbesondere Antikoerper, aus der Zirkulation zu entfernen. Es wird nun offenbar angenommen, dass Antikoerper gegen peripheres Nervengewebe am Krankheitsgeschehen beteiligt sind. Dies ist im Prinzip sehr aehnlich zum Guillain-Barre Syndrom mit Hirnnervenbeteiligung (Miller-Fischer Syndrom) wie in meiner ersten e-mail erwaehnt, nur dass das Guillain-Barre Syndrom nicht einen so langen Verlauf hat sondern frueher spontan regredient ist (in der Regel). Eine andere Krankheit, welche auf ahnlichem Mechanismus beruht ist die chronische entzuendliche demyelinisierende Polyneuropathie (CIDP) bei welcher sich in der Regel im Serum Antikoerper gegen Lipide (Fette) finden, meist gegen "gangliosid GM1". Fragen Sie nach, ob ein Nervengewebs-spezifischer Antikoerper nachgewiesen worden ist bei Ihrem Bruder. Wir wissen ja, dass Ihr Bruder einige andere Antikoerper zu Beginn der Erkrankung produziert hat, welche dann zu etwas Verwirrung (Sjogren!) gefuehrt haben; es ist also sehr wohl moeglich, dass im gleichen Atemzug Antikoerper gegen Nervengewebe entstanden sind (evt. via "Mimickry", siehe fruehere Nachricht), welche zu langfristigen funktionellen Stoerungen gefuerht haben.
Fuer die weitere Therapie koennten diese Ueberlegungen folgende Konsequenzen haben (aber aus der Distanz bin ich sicher nicht in der richtigen Position um Empfehlungen abzugeben) :
- Falls eindeutiges Ansprechen auf Plasmapherese und/oder eindeutiger Nachweise von Nervengewebs-spezifischen Antikoerpern: Therapie mit einem B-Lymphozyten depletierenden Antikoerper: Mabthera (Rituximab); Evt. voruebergehend nochmals Cyclophosphamid waehrend der ersten 8-12 Wochen.

Ich hoffe auf balidge Besserung und guten Bescheid von Ihnen

mit freundlichen Gruessen
Prof.Dr.med. Stephan Gadola
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Beitrag von Stephan Gadola »

Ich habe noch etwas vergessen:

Wurde noch einmal eine Liquoruntersuchung gemacht, mit paralleler Untersuchung des Serum's, und wurde dabei bestimmt, ob eine erhoehte Produktion von Immunglobulinen (das sind die Proteine aus welchen Antikoerper gemacht sind) im Zentralen Nervensystem besteht ?

Auch wenn nun offenbar von einer peripheren Neuropathie gesprochen wird; die von Ihnen beschriebene Klinik klingt fuer mich nach einer Nervenwurzelentzuendung (Polyradiculitis), und der proximale Abgang der Wurzeln ist ja noch "zentral" (also teil des zentralen Nervensystem's).

Falls Auto-Antikoerper die Erkrankung verursachen, dann spielt es fuer die Therapie (speziell die Applikation der Medikamente) eine Rolle ob die Autoantikoerper in der Peripherie produziert werden (also ausserhalb des zentralen Nervensystem's), oder innerhalb des zentralen Nervensystem's (wegen der sogenannten "Blut-Hirn-Schranke").

Freundliche Gruesse
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leber08
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Beitrag von leber08 »

Hallo Herr Professor Gadola,
wir haben nun endlich Gewissheit. Nach fast 7 Monaten Therapieversuche ist bei ihm nun ein juveliner Verlauf einer ALS diagnostiziert worden. Diese furchtbare Nachricht hat uns alle getroffen. Wir versuchen nun alle damit klar zu kommen. Nichtsdestotrotz wollte ich Ihnen nochmals für Ihre Hilfestellung danken. Ich hoffe das die Medizin irgendwann in der Lage ist auch diese Krankheit erfolgreich zu behandeln.
Mit besten Grüßen
A.Hofmann
Stephan Gadola
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Beitrag von Stephan Gadola »

Sehr geehrter Herr Hofman

Die Nachricht von der ALS Diagnose macht mich tief betroffen, auch wenn ich zu Beginn daran gedacht hatte, aber aufgrund des kategorischen Ausschlusses einer ALS von Seiten der betreuenden Aerzte sofort wieder verdraengt habe. Ich wuensche Ihrer Familie viel Mut und Kraft fuer die kommende Zeit. Sicher werden die Aerzte nun alles daran setzen den Krankheitsverlauf irgendwie verlangsamen zu koennen.

Freundliche Gruesse

Stephan Gadola

PS: Ich war in den letzten 3 Wochen in Ferien und konnte deshalb nicht frueher auf Ihre Nachricht vom Juli eingehen.
Prof.Dr.med. Stephan Gadola
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leber08
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Beitrag von leber08 »

Sehr geehrter Herr Professor Gadola,

auf diesem Wege wollte ich Ihnen mitteilen, dass mein Bruder mit 31 Jahren vergangene Woche an den Folgen der ALS verstorben ist.

Ich hoffe, dass es ihnen und Ihren Kolleginnen und Kollegen hoffentlich gelingt diese und andere furchtbaren, unheilbaren Erkrankungen in den Griff zu bekommen.

Ich wünsche Ihnen für die Zukunft Alles Gute vor Allem Gesundheit.
Vielen Dank

A.Hofmann
Stephan Gadola
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Beitrag von Stephan Gadola »

Sehr geehrter Herr Hofmann,

Ihre traurige Nachricht macht mich sehr betroffen. Ich wuensche allen Angehoerigen viel Kraft, und hoffe mit Ihnen auf zukuenftige Behandlungsmoeglichkeiten der ALS.
Prof.Dr.med. Stephan Gadola
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